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Heinz Zimmermann
Worte gesprochen bei der Gedenkfeier im Goetheanum 1991

Jörgen Smit interessierte sich bis in die letzte Zeit für alles, was mit dem Goetheanum zusammenhing. Er ließ sich von jeder Vorstandssitzung genau Bericht erstatten und interessierte sich auch für Kleinigkeiten, von denen man dachte, die sind gar nicht so wichtig. Er nahm bis zum Schluss auch den lebhaftesten Anteil an allen Veranstaltungen hier am Goetheanum. So verfolgte er zum Beispiel die letzte Ostertagung innerlich Vortrag für Vortrag, Aufführung für Aufführung, wie er mir in einem Gespräch sagte.
Wir haben alle Jörgen Smit als eine moralische Instanz erlebt. Eine moralische Instanz, die nicht durch das wirkte, was er inhaltlich sagte, sondern durch die Art, wie er das, was er sagte, erfüllte. Gerade wenn man die zahlreichen Vorträge, die er hielt, betrachtet, sagten immer wieder Menschen, sie fühlten sich in dem zutiefst angesprochen, was gerade ihr Anliegen war. Und wenn man das viele Male erlebt hat, dann weiss man eben, dass dies die Frucht lebenslanger Verarbeitung der Anthroposophie war.
Verarbeiten war übrigens eine Vokabel, die er immer wieder gerne verwendete. Er erzählte einmal, dass er mit zwanzig Jahren, als er seinen ersten anthroposophischen Vortrag hielt, sich entschlossen habe, den Vortrag ohne irgendwelche Notizen zu halten. Diesem Entschluss blieb er zeitlebens treu. Er sprach stets ganz frei. Selbst wenn er eine Fülle von Einzelheiten zur Darstellung brachte, verließ er sich ganz auf sein Gedächtnis. So erinnere ich mich an einen Vortrag an einer Lehrertagung hier am Goetheanum, wo er Dutzende von Wörtern aus den verschiedensten exotischen Sprachen aus dem Gedächtnis eines um das andere an die Tafel schrieb. Aber trotzdem sprach er nicht bloß aus dem Gedächtnis, auch das Gedächtnis war verarbeitet. Dieses verarbeitete Gedächtnis führte dazu, dass er bis in seine letzte Zeit echte pädagogische Situationen aus einer Schulklasse schildern konnte, so dass man das Gefühl hatte, es ist ganz aktuell, unmittelbare Gegenwart. Nicht aus dem Erlebnis von damals, wie man das ja leicht erleben kann bei Lehrern, die eben schon zwanzig Jahre nicht mehr unterrichtet haben. Und dieses Gegenwärtig-Aktuelle, dieses selbst Verarbeitete, das konnte man auch in allem bemerken, was er zum Schulungsweg ausführte. Auch auf diesem Feld, wo eines seiner Hauptanliegen war, sagte er nie: «Macht das so oder so», sondern er schilderte erlebte Situationen, aus denen man das Lebenspraktische unmittelbar aufnehmen konnte und wodurch er einen unmittelbar zur Eigentätigkeit anregte. Seine Beispiele erzeugten oft durch die Originalität allgemeine Heiterkeit. So erinnere ich mich an einen Vortrag an einer Lehrertagung in Stuttgart, wo er als Beispiel für eine bildschaffende Übung einen Elefanten beschrieb mit seiner Masse und seinem Gewicht und daneben einen Kolibri, begleitet von seinen unnachahmlichen Gebärden und seiner Mimik, und nun die Aufgabe schilderte, innerlich den Elefanten in den Kolibri zu verwandeln und umgekehrt.
Alles was er vortrug ließ den Zuhörer immer frei. Es entstammte der eigenen phantasievollen Durchdringung des Stoffes. Seine Wesensart ließ keine kritiklose Verehrung und noch weniger ein irgendwie geartetes Gurutum zu. Beziehungen, die sich bloß im Persönlichen abspielten, hatten in seinem Leben wenig Platz. Gemütliche Gespräche bei Kuchen und Kaffee wurden als Zeitverschwendung empfunden. Einige wenige Bilder mögen noch andere Seiten von ihm beleuchten. Wenn man ihn in seiner Gestik in Sitzungen, im Gespräch oder in Vorträgen beobachtete, dann konnte man sehr oft eine scharfe, ruckartige Gebärde mit der Hand bemerken, wenn etwas in irgendeiner Form total abzulehnen war. Das gleiche war in seiner Schriftbewegung, wenn er zum Beispiel sein berühmtes Büchlein aus der Tasche zog und einen Termin anstrich. Ruckartige, kantige Bewegung. Wenn er einem aber die Hand gab, konnte man einen weichen, zarten Händedruck spüren, der in völligem Gegensatz zur vorigen Gebärde stand. Ebenso konnte seine Stimme, wenn er auf etwas kam, was geistig intim war, in eine wunderschöne zarte Diktion kommen, während er vielleicht am Anfang eines Vortrages manchmal fast krächzend gegen das Organ gepresst etwas herausgesetzt hatte.
Ich fuhr vor ungefähr fünfzehn Jahren mit ihm von der Schuleröffnung in Wangen nach Avrona im Unterengadin. Drei Stunden lang fuhren wir im Auto, kein Wort. Dann stellte ich die Frage, wie er seine Vorträge denn vorbereite und wie er seinen großen Überblick gewonnen habe. Und dann kam die ganze restliche Fahrt ein lebhaftes Gespräch zustande, mit völlig lockeren Ausführungen über seine persönlichen Erfahrungen und seine Arbeitsmethoden. Vor der ersten Weltlehrertagung 1983 traf ich ihn einmal in einem Kellerraum des Lehrerseminars, wie er Stühle zählte, um festzustellen, ob sie für die Gruppengespräche ausreichten. Das war kein Akt der Selbstaufopferung, sondern er dachte einfach gar nicht daran, dass diese Arbeit auch jemand anders machen könnte.
Als Leiter der Pädagogischen Sektion waren es vor allen Dingen drei Eigenschaften, die ihm die weltweite Anerkennung durch die Schulbewegung brachten. Zum einen die umfassende Kompetenz, die von den geistigen Belangen des Lehrers bis in die konkrete Unterrichtsfrage hineinreichte, zum andern die Eigenschaft, sich persönlich zurückzunehmen, auf die Fähigkeiten und Fragen der andern zu blicken, um daraus zu raten und zu helfen und keine Antworten zu geben auf Fragen, die gar nicht gestellt waren. Das dritte war seine grenzenlose, sachliche Herzensgüte. Mit sachlicher Herzensgüte meine ich zum Beispiel, wie er keimhaften Initiativen immer wieder Mut machte, wie er, um Hilfe gebeten, sie immer zusagte, ob das fünf Lehrer waren oder fünfhundert, das spielte keine Rolle. Wenn er eine Lücke in seinem Terminkalender fand, dann sagte er ja, dann half er. So ist es ihm wesentlich zu verdanken, dass in die Weltschulbewegung ein geistiges Gesamtbewusstsein einzog. Nicht zuletzt, weil durch seine weltweiten Schulbesuche sich in ihm selber eine Gesamtüberschau entwickelte. Sein befeuerndes Wirken entstammte einer lebenslang entwickelten geistigen Quelle. Deswegen verbinden wir uns am besten mit ihm, wenn wir den ungeheuren Schmerz, den wir durch seinen Hingang empfinden können, dadurch zu bewältigen versuchen, dass wir mit gesteigerter Aktivität den Weg beschreiten, den er zeitlebens mit eiserner Konsequenz gegangen ist, den Weg zu der Schwelle, die er jetzt überschritten hat.
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Ansprache von Dr. Heinz Zimmermann im Goetheanum bei der Gedenkfeier für Jörgen Smit am 15.Mai 1991 vor ca. 1500 Teilnehmern
 
Erstveröffentlicht in: "was in der Anthroposophischen Gesellschaft" vorgeht vom 23. Juni 1991.

 
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