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Arne Klingborg
Worte gesprochen bei der Gedenkfeier im Goetheanum 1991

Viele tausend Menschen sind Jörgen Smit begegnet und haben durch ihn einen vertieften Zugang zur Anthroposophie und damit dauernde Impulse für ihr Leben erhalten.
Was mich betrifft, lernte ich Jörgen Smit nach dem Kriege persönlich kennen. Schon damals waren wir hier in Schweden auf das anthroposophische Leben in Norwegen aufmerksam geworden. Wir wussten, dass es dort eine Reihe junger Anthroposophen gab, die sich im Kulturleben exponierten, in der pädagogischen Debatte, in der Sprachenfrage usw. Es war deshalb eine Selbstverständlichkeit, nach dem Kriege nach Norwegen zu reisen, um das anthroposophische Leben dort kennenzulernen.
War man nur in Oslo, dann wußte man, bei der Familie Smit, Lövenskioldsgate 3A, dort konnte man alle treffen. Dort lernte ich auch Jörgen Smit zum ersten Male kennen; aber auch seine Brüder und seine liebenswürdige Mutter. Jörgens Vater, Christian Smit, kannte ich schon. Während des Krieges kam er ab und zu nach Stockholm und hielt seine bewundernswerten, klaren und scharfen Vorträge über religiöse Fragen.
Das gastfreundliche, kultivierte Heim in Oslo, mit bedeutenden modernen Kunstwerken norwegischer Maler an den Wänden, war wirklich ein Treffpunkt. Hier traf sich jung und alt. Jörgens Eltern gehörten zu der Gruppe Anthroposophen die Rudolf Steiner kennengelernt hatten und seine persönlichen Schüler waren.
Aber dort war auch eine jüngere Generation, die sich bewusst darin geübt hatte, die Anthroposophie in einer zeitgerechten Art zu vertreten; in erster Linie durch eine goetheanistische Betrachtungsweise. Der Schweizer Conrad Englert, Vorsitzender der norwegischen Gesellschaft, war ihr inspirierender Lehrer.
Zu diesem Kreis gehörte Jörgen Smit. Dort traten viele markante Persönlichkeiten hervor, die verschiedene anthroposophische Fragen bearbeiteten und zu ihnen Stellung nahmen; zu aktuellen politischen und pädagogischen Debattengegenständen und nicht minder zu Fragen, die die Dramatik in der Anthroposophischen Gesellschaft betrafen.
Im Smitschen Heim traf man sich und führte Gespräche, aber es war auch ein Ort angenehmer und lebendiger Geselligkeit. Wenn es gar zu lebhaft wurde, konnte man beobachten, wie Jörgen sich in eine Ecke zurückzog und gewissermaßen aus der Entfernung dem Geschehen folgte, um sich schließlich in ein Buch zu versenken und seine kontinuierlichen Studien fortzusetzen. Er nahm nicht Abstand vom geselligen Leben, aber es durfte nicht zuviel werden. Es kam darauf an, jede Minute auszunützen.
Viele Menschen haben Jörgen Smit erst kennengelernt als ernsten und strengen Forscher und Vortragsredner, als er schon älter war. Aber als er jünger war, hatte man neben dem brillanten, scharfen Denker auch den körperlich kraftvoll starken Menschen, den Sportler, den ausgezeichneten Skiläufer, den hingegebenen Segler.
Die Brüder erzählten, dass Jörgen, wenn die Familie auf dem Lande weilte, immer stapelweise Bücher mitbrachte, aber er liebte auch das Leben im Freien, und wenn es um harte Arbeit ging, zum Beispiel große Steine zu transportieren, dann rief man immer Jörgen, den stärksten.
Jörgen Smit studierte an der Universität in Oslo, aber auch eine Zeitlang an der Universität in Basel, wo er auch das Goetheanum und das Leben dort kennenlernte. Sein Fach war Philologie mit klassischen Sprachen als Hauptfach, aber er studierte auch nebenher Astronomie, Mathematik und viele andere Fächer.
Er war sich früh darüber im klaren, dass es für ihn darauf ankam, seine vielfältigen Interessengebiete im Lichte der Anthroposophie zu bearbeiten. Er hat erzählt, dass er früh einsah, dass er sein Leben der Anthroposophie widmen würde und dass er zur Verfügung stehen sollte, dass er zu Aufgaben gebraucht würde. Man kann auch sehen, wie er durch Jahrzehnte sich auf die Aufgabe vorbereitete, von der er ahnte, dass sie kommen würde.
Früh entsagte er sich dem Gedanken, eine akademische Karriere zu machen. Bedenkt man seine ungewöhnliche Begabung, hätte solch eine Karriere eine Selbstverständlichkeit sein können. Die erste große Aufgabe, die Jörgen Smit entgegenkam, war die Schule, genauer gesagt die Kinder in der Schule in Bergen. Neben der Arbeit zusammen mit den Kindern trug er dazu bei, die Schule zu einer intellektuellen Freistatt während der deutschen Okkupation zu machen.
Die Begegnung mit Jörgen Smit in Oslo führte dazu, dass wir ihn so schnell wie möglich in Stockholm haben wollten, zusammen mit mehreren aus dem norwegischen Kreis der Jüngeren. So kam er 1947 als Vortragsredner zum ersten Male nach Schweden.
Damals hatte sich Jörgen deutlich exponiert im Zusammenhang mit den Problemen innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft, und die Folge war, dass er bei uns nicht im Lokal der Gesellschaft, Radmannsgatan 14, sondern im provisorischen Lokal der Goethegruppe sprechen musste. Sein Thema galt dem Leben der Geschichte; eine Charakteristik verschiedener Kulturepochen – und der vorletzte Vortrag hatte eine echte Jörgen Smit-Formulierung: Ist unsere Kultur zum Tode verurteilt?
Die Begegnung mit Jörgen Smit als Vortragendem war etwas Besonderes. Hier sprach jemand deutlich aus eigenen Erfahrungen. Der Vortrag wurde gleichsam hervorgearbeitet, während er sprach. Man begegnete geistigen Erfahrungen, die bearbeitet waren und von einem geschulten Denken durchleuchtet. Man ahnte, dass die moderne Weise zu denken es ermöglichte, geistige Erfahrungen in einer individuellen Weise zu ergreifen.
Jörgen war zu dieser Zeit dreißig, und man ahnte, was es heißen will, als Mensch Träger einer Bewusstseinsseele zu sein. Diese Art zu forschen und zu arbeiten galt auch unseren Fragen im Zusammenhang mit unserer Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft, was damals öfters zu sehr kritischen Beurteilungen führte.
In den folgenden Jahren entstand die gemeinsame nordische Arbeit in der Öffentlichkeit, Jörgen verband sich von Anfang an mit dieser Arbeit. Durch Kurse und Vorträge im Laufe der Jahre gab er der Arbeit eine entscheidende Substanz.
Die nordische Arbeit unter diesen ersten Jahren beinhaltete mehrere dramatische Motive. Noch waren wir von den politischen Ereignissen erschüttert, wir lernten einander kennen als Mitglieder verschiedener Völker, und wir erlebten die geheimnisvolle Tatsache, dass wir ganz verschiedene Verhältnisse zu den Problemen der Anthroposophischen Gesellschaft hatten. Deshalb verzichteten wir im nordischen Kollegium darauf, über die Anthroposophische Gesellschaft und die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft zu sprechen. Wir konzentrierten uns auf die Aufgabe, nordische Sommertagungen zustande zu bringen.
In der nordischen Kollegiumsarbeit bekam Jörgen eine entscheidende Rolle in der Weise, dass wir nach und nach verstanden, dass eine kollegiale Arbeit ein Motiv sein kann auf einem ernsten Schulungsweg. Wie oft wirkte Jörgen durch einsichtsvolle Beiträge so, dass eine chaotische Situation zu etwas Fruchtbarem verwandelt werden konnte...
In den Jahren, die vergingen, schuf Jörgen Smit eine Vertrauenssubstanz, die dazu führte, dass wir uns beinahe eine nordische anthroposophische Sommertagung ohne seinen Einsatz nicht denken konnten.
1957 wurde Jörgen Smit Vorsitzender der norwegischen Landesgesellschaft. Als es dazu kam, die nordische Arbeit durch die Seminarwirksamkeit in Järna zu verdichten, stieg Jörgen so stark in die Arbeit, dass er nach 1964, trotz seines Vorsitzes in Norwegen, den größten Teil seines Wirkens nach Järna verlegte.
Beim Aufbau des Seminars in Järna lernten wir neue Seiten seines Wesens kennen. Jetzt begegneten wir einer Persönlichkeit, die ganz in einer großen Gemeinschaft mitlebte, an allen gemeinsamen Mahlzeiten und einer Reihe praktischer Tätigkeiten teilnahm. Hier lernten wir den Lehrer kennen, den Jugendpädagogen, ernst, streng und fordernd, aber auch den milden, verstehenden Kameraden. Der Ratgeber. der immer zu Gesprächen bereit war und der mit Wärme sich in die verschiedensten Lebens- und Schicksalssituationen einlebte. Hier lernten wir nicht nur den lächelnden, sondern auch den lachenden Jörgen kennen, voll von Humor und Freude.
1966 hatten wir die erste internationale Jugendtagung in Järna. Durch diese Tagung begann sich Jörgen Smits Wirksamkeitsfeld zu erweitern. Dies war eine Tagung, die ihre Fortsetzung in Michael-Hall in England, Spring Valley in den USA 1970 und in Dornach 1972 fand. Es waren Zusammenkünfte, die in hohem Maße von Jörgen Smit getragen wurden.
Eine Situation der Tagung in Järna ist unvergesslich. Wir ergriffen die dreiste Aufgabe, einige Motive aus dem letzten Vortrag Rudolf Steiners während der Weihnachtstagung zu dramatisieren. Es ging um die Schilderung, wie die schlafenden Menschen, ohne vorbereitet zu sein, versuchen, in die geistige Welt zu dringen und wie der Schwellenhüter zu ihrem eigenen Besten sie zurückweist.
Jörgen Smit hatte die Rolle des Hüters. Mit Enthusiasmus nahm er an allen Proben teil. Jetzt verriet Jörgen uns durch die Tat seine Liebe zur Theaterkunst, wie sehr er es liebte, Theater zu spielen.
Unsere Aufführung fand auf einer Freilichtbühne statt, auf einem Bauernhof neben dem Seminar. Wir machten musikalische Improvisationen, hatten Sprechchöre und arbeiteten mit Bewegung.
Keiner unter den Teilnehmern vergisst Jörgen, wie er mit donnernder Stimme die vordrängenden Seelen mit den Worten zurückweist: Du musst zurück! Du hast deine Ideen missbraucht für die Sinneswelt. Du musst zurück!
Der stattliche Jörgen wurde noch größer in seiner Gestalt auf der Bühne. Vielleicht war es so, dass etwas von Jörgens eigenem Wesen zum Ausdruck kam in dieser Rollengestaltung; der Wächter, der mit Begeisterung von der geistigen Welt spricht, der aber auch streng und ernst zu Geduld und ernster Übung als Vorbereitung mahnt. Der Wächter, der Strenge mit Milde verbindet.
Es dauerte nicht lange bis die Pädagogische Linie am Seminar begann mit Jörgen als begeistertem Leiter. Jetzt schöpfte er aus seinen langjährigen pädagogischen Erfahrungen. Junge Menschen erziehen zu dürfen, die selber Lehrer werden wollten, war eine Aufgabe, die Jörgen mit warmer Freude erfüllte, das war sehr deutlich. Aber schon bald sollte sich das Arbeitsfeld noch erweitern.
1975 wurde Jörgen Smit nach Dornach berufen, um Mitglied des Vorstandes der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft zu werden. Dies bedeutete, in eine ganz neue Welt einzusteigen. Auch wenn wir wussten, dass es um eine Aufgabe ging, auf die sich Jörgen innerlich vorbereitet hatte durch viele Jahre hindurch, war es doch nicht einfach für ihn. Es fiel ihm schwer, sich in die Rolle als «Vorstandsmitglied» einzuleben. Dies war etwas anderes, als Kamerad unter Kameraden in Järna zu sein.
Der, welcher sich früher als ein scharfer Kritiker von vielem, was in Dornach geschah, exponiert hatte, sollte jetzt selber dort wirken. Es war wohl auch so, dass ein Teil der Mitglieder in Norwegen diesem seinem Schritt sehr kritisch gegenüberstanden. Nicht viele wussten, wie genau sich Jörgen vorbereitet hatte.
Schon früh hatte er den Auftrag bekommen, die Verantwortung für die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft in Norwegen zu übernehmen. Durch viele Jahre hindurch arbeitete er sich in die Geschichte der Anthroposophischen Gesellschaft ein, und im Laufe von achtzehn Jahren bereitete er sich darauf vor, die Freie Hochschule vertreten zu können, deren in vieler Weise tragische Geschichte ihm sehr vertraut war.
So konnte er jetzt in eine Schicksalsgemeinschaft einsteigen mit einer wahrheitsliebenden Haltung und gleichzeitig mit einer Loyalität im Verhältnis zu dem Kollegium, von welchem er jetzt ein Teil war. Dies gab der Gesellschaft eine neue Kraft.
Viel könnte über Jörgen Smits Bedeutung für die ganze Weltgesellschaft gesagt werden. Durch seine vielen Reisen konnte er sich in die Arbeit der Gruppen einleben und lernte mit engagiertem Interesse die Mitglieder kennen und konnte in einer wahrheitsgemäßen und sachlichen Weise den Goetheanumimpuls vertreten.
Für unsere nordische Arbeit war Jörgens Rolle als Vorstandsmitglied von größter Bedeutung. Seit 1949 hatten wir regelmäßig unsere nordischen öffentlichen Sommertagungen durchgeführt. Im Jahre 1984 kam etwas Neues hinzu. Jetzt fand die erste nordische Konferenz für Mitglieder statt. Jetzt war die Zeit reif, um einen Themenkreis hervorzuheben, der durch viele Jahre tabuisiert gewesen war. Mit Jörgens Hilfe war es jetzt möglich, die Anthroposophische Gesellschaft und die Freie Hochschule ins Zentrum der Arbeit zu stellen.
Jörgen, der bisher mit größter Reserviertheit aufgetreten war, konnte jetzt mit Kraft den Gesellschaftsimpuls selbst vertreten; in einer Weise könnte man sagen, dass für viele Mitglieder im Norden Jörgens Vorträge auf dieser Tagung bedeuteten, dass er in neuer Weise das Goetheanum mit dessen Freier Hochschule in den Norden holte.
Aus der Arbeit 1984 entstand der Impuls in deutlicher Weise, durch intensivierte Arbeit, aber auch durch ein Gebäude, die Anthroposophische Gesellschaft und die Freie Hochschule im Kulturleben sichtbar zu machen. Hier ging es um eine Aufgabe, mit der sich Jörgen ganz verbunden fühlte. Die Freie Hochschule zu verdichten und zu aktualisieren wurde mehr und mehr zur Hauptaufgabe für die Arbeit Jörgens.
Seine langjährige Arbeit in der Jugendsektion wollte Jörgen Smit mit einer großen Konferenz für Hochschulmitglieder im Norden und für Mitglieder der Jugendsektion diesen Sommer in dem neuen Gebäude in Järna mit den neunzehn Klassenstunden abschließen. Auch wenn das Gebäude nicht ganz fertig sein sollte, wollte er die Konferenz durchführen.
Da kam die Krankheit mit ihrem ganzen Ernst, die Jörgen sachlich betrachtete und deren verschiedene Konsequenzen er einsah. Mit erhabener Ruhe sprach er mit seinen Mitarbeitern über die verschiedenen Situationen, die entstehen konnten. Er sah auch, dass er vielleicht nicht unter uns sein könnte zur Zeit der Konferenz. Aber er war gleichzeitig davon überzeugt, dass sie durchgeführt werden sollte, und verteilte deshalb verschiedene Aufgaben.
Jörgen Smits Ausdrucksmittel war das gesprochene Wort. Seine Vorträge wurden immer mehr zu vollendeten Kunstwerken mit fast architektonischem Aufbau. Er appellierte an die Einsicht durch Denken und aktives Zuhören, aber die Vorträge endeten oft in einem Willensimpuls. Er stand wie eine Säule, wenn er sprach, aber dazu kamen die Gesten. seine ausdrucksvollen, unvergesslichen Handbewegungen.
Lieber Jörgen! Deine Art zu sprechen inspirierte dazu, ein klares Denken anzuwenden und zu entwickeln, aber ein Denken, das nicht im Haupte verbleiben wollte, sondern das Begeisterung entzündete für das Werk Rudolf Steiners und für die Anthroposophie, die deine Lebensluft war.
Du lässt unter deinen vielen Freunden viele zündende Geistesimpulse zurück, Impulse, die bewirken, dass, wenn wir an dich denken, es nicht nur auf die vergangenen Begegnungen ankommt, sondern auf etwas, das entstehen will und deshalb anwesend ist...
 
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Ansprache von Arne Klingborg im Goetheanum bei der Gedenkfeier für Jörgen Smit am 15.Mai 1991 vor ca. 1500 Teilnehmern
 
Erstveröffentlicht in: "was in der Anthroposophischen Gesellschaft" vorgeht vom 23. Juni 1991, leicht bearbeitet.
 

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